Das Ziel gemeinschaftlicher Wohnformen ist das Bemühen um Nähe bei gleichzeitiger Möglichkeit der Distanz
Rolf Novy-Huy
Gründer der Stiftung Trias
Suche schließen
Architektonisch gesehen ist inklusives Wohnen eine gemeinschaftliche Wohnform mit - meistens - besonderen Bedarfen an die Barrierefreiheit. Alle inklusiven Wohnformen haben das Ziel, dass die Menschen gut und gerne zusammenleben. Die Innenraumplanung kann viel dazu beitragen. Dabei spielt das ausgewogene Verhältnis von Nähe und Distanz eine wichtige Rolle. Wie dies gelingt und was zu beachten ist, lesen Sie im folgenden Artikel.
Wir unterscheiden zwischen drei Formen von inklusiven Wohnprojekten, die es in zahlreichen Varianten gibt:
Wohngemeinschaft
Hier teilen sich die Menschen für gewöhnlich die Küche, das Wohn-Esszimmer und die Bäder. Jeder hat zudem einen Raum für sich allein – das eigene Zimmer.
Clusterwohnung
Dies ist eine Art Luxus-WG: Mehrere kleine Wohneinheiten sind durch einen großzügigen Gemeinschaftsbereich miteinander verbunden. Die privaten Wohneinheiten bestehen immer aus einem Zimmer mit eigenem Bad, manchmal mit einer kleinen Teeküche und einem zweiten Zimmer. Im Gemeinschaftsbereich befindet sich die (richtige) Küche, das Wohnzimmer und andere gemeinschaftlich genutzte Räume. Mehr Informationen zu Clusterwohnungen finden Sie hier.
Appartements (in einer Hausgemeinschaft oder lebendigen Nachbarschaft)
Hier wohnt man allein, zu zweit oder als Familie in einer Wohnung. Falls das Appartement Teil einer Hausgemeinschaft ist, gibt es häufig einen Gemeinschaftsraum, der von allen Parteien im Haus genutzt werden kann. Ansonsten kann Begegnung auch durch einen Nachbarschaftstreff oder die Anbindung an andere Appartements oder eine Wohngemeinschaft im Quartier geschehen.
Die architektonischen Herausforderungen sind sehr unterschiedlich je nach Größe, Konzept und Anforderungen an Barrierefreiheit. Kleine WGs und Appartements ohne Anforderungen an die Barrierefreiheit lassen sich gut im Bestand realisieren, größere (barrierefreie) WGs und Clusterwohnungen lassen sich meist nur im Neubau umsetzen.
Für Projektgruppen und ihre Kooperationspartner ist es wichtig zu verstehen, dass sie mit ihrem Grundriss zentrale Entscheidungen über das Zusammenleben „in Stein gießen”. Was bei der Planung entschieden und später gebaut wurde, kann im Nachhinein nur schwer verändert oder ausgeglichen werden.
Unser Tipp: Lernen Sie die wichtigsten Fallstricke kennen – und versuchen Sie diese bestmöglich zu umgehen. Hier einige Beispiele aus der Praxis:
Die Räumlichkeiten entsprechen nicht den Auflagen (für die Finanzierung)
Zum Beispiel sind sie zu großzügig geplant und lassen sich durch die Grundsicherung der Bewohner:innen nicht finanzieren. Oder sie entsprechen nicht den Regularien der Aktion Mensch (falls davon gefördert). Auch in Sachen Sicherheit sind oft Vorgaben (z.B. Brandschutz) einzuhalten.
Die Räumlichkeiten/Auflagen engen den Personenkreis ein
Inklusive Wohnformen leben durch ihre vielfältige Bewohnerschaft. Wenn zum Beispiel ausschließlich oder überhaupt keine Zimmer für Rollstuhlfahrer:innen eingeplant sind, hat das Einfluss auf die Konstellation der WG. In manchen Häusern sind Rollstuhlfahrer:innen nur im Erdgeschoss „vorgesehen“ und können nie in einer der anderen Etagen wohnen.
Die Gemeinschaftsräume sind zu klein
Dies ist besonders wichtig, wenn mehrere Rollstuhlfahrer:innen in der WG wohnen, da sie viel Platz für ihre Mobilität benötigen. Auch Assistenzpersonal, dass in der WG arbeiten wird, sollte zur Anzahl der Bewohner:innen hinzugerechnet werden.
Bei der Raumplanung werden die Assistent:innen vergessen
In einer inklusiven Wohnform leben nicht nur Menschen, dort arbeiten auch Menschen. Je nach Konzept muss auch für diese Gruppe Raum eingerechnet werden, zum Beispiel ein Ruheraum für die Nachtbereitschaft oder ein Büro für den Tagdienst.
Es gibt nur einen Gemeinschaftsbereich
Es gibt viele verschiedene Arten, Gemeinschaft zu leben. Zum Beispiel kochen, fernsehen, in Ruhe Besuch empfangen, kickern, feiern und vieles mehr. Deshalb empfiehlt es sich, mindestens 2 Gemeinschaftsbereiche zu haben: einen „lauten Raum“ (Küche, Kicker, Feiern…) und einen „leisen Raum“ (Fernsehen, Lesen…).
Die Räumlichkeiten haben „Einrichtungscharakter“
Inklusive Wohnformen sind in erster Linie ein Ort zum Leben und Wohlfühlen. Gleichzeitig müssen für Assistenz und Pflege gewisse Standards eingehalten werden. Es gilt eine gute Balance zwischen praktisch und wohnlich zu finden. Dafür ist es wichtig, dass die Bewohner:innen ihr eigenes Wohnumfeld mitgestalten.
Die Räumlichkeiten lassen keine Entwicklung zu
Menschen altern und ihre Bedürfnisse verändern sich. Im besten Fall lassen die Räumlichkeiten Möglichkeiten offen. Zum Beispiel gibt es Optionsräume, Schaltzimmer oder nicht-tragende Wände, die versetzt werden können. Wenn eine Bewohnerin ein Kind bekommt, kann es als Kinderzimmer genutzt werden. Wenn ein Bewohner im Alter auf einen Rollstuhl angewiesen ist, kann sein Wohnraum vergrößert werden.
Fehler bei der Bauplanung können teuer sein und im schlimmsten Fall haben sie für immer Bestand, da nicht mehr umgeplant werden kann. Wir empfehlen deshalb eine möglichst frühe und erfahrene Begleitung bei der Projektentwicklung und Planung hinzuzuziehen. WOHN:SINN unterstützt Sie gerne mit kompetenter Beratung und Prozessbegleitung. Auch andere Organisationen bieten gute Beratung und Fachwissen rund um das Thema barrierefreies Bauen und gemeinschaftliches Wohnen an.
Sehr sinnvoll ist es, frühzeitig und laufend alle wichtigen Personen einzubeziehen, insbesondere die späteren Bewohner:innen, aber auch Ämter, Geldgeber und Entscheider. Die Planung eines inklusiven Wohnprojektes ist vielschichtig, jedes Haus ist anders, und Entscheidungen werden teilweise von Kommune zu Kommune unterschiedlich getroffen. Ein gutes Beispiel ist der Brandschutz, der vor allem bei größeren Wohngemeinschaften von Anfang an mitgedacht werden sollte, damit der Einzug genehmigt wird (zweiter Rettungsweg, Brandmeldeanlage, Rettung von Personen im Rollstuhl…). In jedem Fall sollte die Heimaufsicht mit einbezogen werden. Zudem zahlt es sich in der Regel aus, wenn Wohnungsämter, Leistungsträger und die Politik von Anfang an „mit im Boot” sind.
Das perfekte Wohnprojekt gibt es natürlich nicht. Im Laufe der Planung wird man immer wieder abwägen müssen und pragmatische Lösungen finden. Jeder sollte sich dessen bewusst sein. Es lässt sich nicht alles realisieren, was sich die späteren Bewohner:innen, die Eltern oder andere aus der Gruppe wünschen. Die Innenraumplanung wird bei jedem Projekt ein Kompromiss sein aus den – sicher oft unterschiedlichen - Wünschen der Beteiligten, den Vorgaben des Bebauungsplans und der Ämter, den finanziellen Möglichkeiten und den Wünschen der Investoren und Architekten. Bei diesem Prozess kann eine gute Beratung und Gruppenmoderation helfen, den Fokus nicht zu verlieren und nachhaltige Kompromisse zu finden: Was ist wirklich wichtig? Worauf möchten und sollten wir auf keinen Fall verzichten? Wie können wir uns gut einigen?...
Sie möchten mehr wissen? Wir haben weitere Informationen und Materialien in unserer Bibliothek für Sie zusammengestellt.