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Drei junge Frauen stehen vor einer Wand. Sie halten selbstgebastelte Schilder mit "Inklusion" und "Selbstbestimmung" in der Hand. An der Wand weitere Schlagworte wie "Ort des Zusammenlebens".
Drei junge Frauen stehen vor einer Wand. Sie halten selbstgebastelte Schilder mit "Inklusion" und "Selbstbestimmung" in der Hand. An der Wand weitere Schlagworte wie "Ort des Zusammenlebens".

Gründungsleitfaden

Individuelle Bedarfsermittlung – Basiswissen

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Inklusives Wohnen kann nur gelingen, wenn alle Bewohner:innen die geeignete und ausreichende Unterstützung erhalten, die sie für ein selbstverantwortetes Leben brauchen. Deshalb sollten Sie sich schon während der Ideenphase mit den möglichen Unterstützungsbedarfen auseinandersetzen. Im ersten Schritt ist es wichtig, sich zunächst der individuellen Unterstützungsbedarfe der zukünftigen Bewohner:innen bewusst zu werden. Der Artikel gibt Ihnen hierfür hilfreiche Materialien an die Hand und zeigt auf, welche Auswirkungen die Bedarfe der Bewohner:innen auf ein inklusives Wohnprojekt haben können.

Welche Unterstützung brauche ich/braucht mein Kind?

Oft wird Unterstützung im Alltag selbstverständlich geleistet. Insbesondere Eltern von Kindern mit Behinderungen erbringen im Alltag viele Leistungen, derer sie sich nicht bewusst sind. Das ist einerseits toll, da hierdurch eine selbstverständliche Teilhabe ermöglicht wird und der Blick nicht auf die Defizite gerichtet ist. Andererseits kann dies dazu führen, dass sich sowohl Eltern als auch die (erwachsenen) Kinder nicht bewusst sind, welche Unterstützung im Alltag tatsächlich notwendig ist, wenn das Kind aus dem Elternhaus auszieht und auf andere Unterstützungssettings angewiesen ist.

Falls Sie sich in einer ähnlichen Situation befinden, ist es hilfreich, erstmal mögliche Unterstützungsbedarfe kennenzulernen. Hierfür erarbeiten wir aktuell ein Arbeitsblatt, in dem ganz unterschiedliche, potentielle Unterstützungsbedarfe aus verschiedenen Lebensbereichen aufgeführt sind. Sie können dann in der Liste ankreuzen, welche Unterstützungsbedarfe in der zukünftigen Wohnform relevant sein könnten. Hilfreich ist zudem, wenn Sie eine Art „Tagebuch“ führen, in dem Sie sich die täglichen Unterstützungsbedarfe aufschreiben. Vielleicht für ein paar Wochen oder Monate – so lassen sich auch unregelmäßige Bedarfe abbilden.

In einigen Städten werden sogenannte Wohnvorbereitungskurse oder Wohnschulen angeboten. Diese bieten ebenfalls die Möglichkeit, sich mit den Anforderungen an ein Leben in einer eigenen Wohnung, WG oder Hausgemeinschaft zu beschäftigen. Dabei werden meist auch die potentiellen Unterstützungsbedarfe thematisiert.

Individuellen Bedarf ermitteln

Sobald Sie sich ihrer Unterstützungsbedarfe oder der ihres Kindes bewusst sind, gilt es, diese dem Umfang nach zu planen. Hierfür ist es hilfreich, die potentiellen Bedarfe in einen Wochenplan zu übertragen (Eine Vorlage finden Sie in diesem Leitfaden der Lebenshilfe Dresden). Dabei sollten Sie von einer durchschnittlichen Woche ausgehen – denn es ist klar, dass es in jeder Woche zu Schwankungen/Abweichungen kommen kann. Sinnvoll ist dabei, mehrere Wochenpläne zu machen. Zum Beispiel für eine Arbeitswoche und eine Woche, in der die Bewohner:in Urlaub hat oder krank ist.

Anschließend sollten Sie überlegen, wer die Unterstützung leisten soll. Sind für bestimmte Unterstützungsleistungen Fachkräfte erforderlich? Falls ja – mit welcher Qualifikation (z. B. Pflegefachkräfte, pädagogische Fachkräfte)?

Oftmals ist es hilfreich sich an dieser Stelle Unterstützung durch eine Beratungsstelle oder einen Leistungserbringer zu suchen. Eine Teilhabeberatungsstelle in ihrer Nähe können Sie auf folgender Webseite finden.

In der Vorbereitung auf die Antragsstellung bei einem Kostenträger sollten Sie die Unterstützungsbedarfe durch eine professionelle Einschätzung glaubhaft machen. Dies können insbesondere Gutachten von Fachärzten sein. Auch Einschätzungen durch Psycholog:innen oder Kliniken haben großes Gewicht bei der Antragstellung. Dies kann zudem wertvoll sein, falls ein später in Auftrag gegebenes amtsärztliches Gutachten zu einer anderen Einschätzung kommt.
 

Welche Auswirkungen hat der Bedarf auf mein inklusives Projekt?

Die Unterstützungsbedarfe der zukünftigen Bewohner:innen können wesentliche Auswirkungen auf das Unterstützungssetting, die baulichen Anforderungen und das Zusammenleben haben. Deshalb ist es wichtig die Bedarfe realistisch einzuschätzen und zu planen. 

Ein wesentliches Kriterium ist der Umfang an pflegerischer Unterstützung. Bei sehr umfangreichen und intensiven, pflegerischen Bedarfen kann es sein, dass z. B. immer eine Pflegefachkraft anwesend sein muss. Zudem können besondere Anforderungen für die Nachtbetreuung bestehen. Wenn in der Nacht regelmäßige Assistenzleistungen zu erbringen sind, müssen diese durch eine sogenannte Nachtwache erbracht werden. Diese Leistungen können meist nicht durch die Mitbewohner:innen ohne Behinderung erbracht werden, sondern erfordern eine Fachkraft. In vielen Bundesländern wird diese Leistung nur bewilligt, wenn mehrere Bewohner:innen den Bedarf für eine Nachtwache haben. Dies müssen Sie – falls in ihrem Falle zutreffend – mit ihrem Kostenträger vor Ort klären.

Zudem gilt es zu klären, wie die Assistenz der WG-Bewohner:innen tagsüber sichergestellt wird. Arbeiten die Bewohner:innen in einem Inklusionsunternehmen oder auf dem ersten Arbeitsmarkt? Gehen sie in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen oder einen Förder- und Betreuungsbereich? Falls dies nicht der Fall sein sollte, gilt es zu klären, wer die individuellen Assistenzleistungen, in dieser Zeit übernimmt. Haben mehrere Bewohner:innen einen Bedarf zu dieser Zeit? Kann der Bedarf über andere Eingliederungshilfeleistungen wie z. B. das Budget für Arbeit gedeckt werden? Zudem sollten Sie klären, ob zur Deckung dieses Bedarfes eine Hintergrundbereitschaft ausreichend ist oder eine stundenweise Betreuung benötigt wird.

In den meisten Fällen wird der Kostenträger versuchen, dass ein Großteil der Leistungen „gepoolt” erbracht wird. Die Leistungen kommen dann nicht nur einer Person zugute, sondern mehreren. Das ist oft sinnvoll – aber nicht immer. Deshalb sollten Sie sich genau damit beschäftigen, welche Leistungen aus ihrer Sicht gepoolt werden können, und gute Argumente sammeln, weshalb bestimmte Leistungen nicht gepoolt erbracht werden sollten. Weiterführende Informationen erhalten Sie im Artikel Poolen von Leistungen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Die Bewohner:innen sowie die Eltern der 6plus4 WG haben sich in ihrer Gründungsphase intensiv mit ihren Unterstützungsbedarfen auseinandergesetzt.

Klar war, dass alle Bewohner:innen einen Pflegegrad haben und in unterschiedlichem Maße auf pflegerische Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Aus diesem Grund hat sich die WG dafür entschieden, dass ein Assistenz- und Pflegedienst in der WG tätig sein soll.

In der Nacht gibt es keine umfangreichen pflegerischen Unterstützungsbedarfe. Deshalb ist eine Nachtbereitschaft ausreichend. Sie ist anwesend, schläft aber und kann bei Bedarf geweckt werden. 

Alle Bewohner:innen arbeiten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Eine Bewohner:in geht verkürzt arbeiten und es bedarf für sie einer individuellen Assistenz in den frühen Nachmittagszeiten.

Die WG hat sich dazu entschieden, einen Teil der Assistenzleistungen gepoolt in Anspruch zu nehmen. Andere Assistenzleistungen werden individuell erbracht. Dafür gibt es eine genaue Planung mit dem Assistenz- und Pflegedienst.

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