Suche schließen
Deutschland hat eine neue Bundesregierung, die in den kommenden vier Jahren „mehr Fortschritt wagen“ will. Inklusives Wohnen kommt als eigenes Schlagwort nicht in den 178 Seiten des Koalitionsvertrags vor. Dennoch finden sich einige relevante und teils vielversprechende Aussagen der Ampel-Regierung zur Inklusion von Menschen mit Behinderung, angestrebten Veränderungen im Wohnungswesen und der Förderung von sozialen Innovationen.
Die Auswahl der Textstellen ist nach persönlicher Einschätzung der Relevanz erfolgt und stellt weder eine Gewichtung dar noch erhebt sie Anspruch auf Vollständigkeit.
Barrierefreiheit und Gleichstellung
„Wir wollen, dass Deutschland in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, vor allem aber bei der Mobilität (u. a. bei der Deutschen Bahn), beim Wohnen, in der Gesundheit und im digitalen Bereich, barrierefrei wird. Wir setzen dafür das Bundesprogramm Barrierefreiheit ein. Dazu überarbeiten wir unter anderem das Behindertengleichstellungsgesetz und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.“ (S. 78)
Bundesteilhabegesetz, Persönliches Budget, Vermögen
„Wir nehmen die Evaluation des Bundesteilhabegesetzes ernst und wollen, dass es auf allen staatlichen Ebenen und von allen Leistungserbringern konsequent und zügig umgesetzt wird. Übergangslösungen sollen beendet und bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Wir werden Hürden, die einer Etablierung und Nutzung des Persönlichen Budgets entgegenstehen oder z. B. das Wunsch- und Wahlrecht unzulässig einschränken, abbauen. Aufbauend auf der Evaluierung wollen wir weitere Schritte bei der Freistellung von Einkommen und Vermögen gehen. Wir werden verbindlichere Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt vorantreiben.“ (S. 79)
Eingliederungshilfe und Pflege
„Wir werden das Verhältnis von Eingliederungshilfe und Pflege klären mit dem Ziel, dass für die betroffenen Menschen keine Lücken in der optimalen Versorgung entstehen. Wir werden ein Maßnahmenpaket schnüren, um im Sinne der Leistungsberechtigten zu schnelleren, unbürokratischeren und barrierefreien Antragsverfahren zu kommen. Wir werden ein Assistenzhundegesetz schaffen. Die im Teilhabestärkungsgesetz beschlossene Studie erweitern wir um den Aspekt der Kosteneinsparung. Zu ihrer Durchführung und Ausweitung legen wir ein Förderprogramm auf. Wir prüfen die Regelbedarfsstufe 1 in besonderen Wohnformen.“ (S. 79f)
Intensivpflege
„Bei der intensivpflegerischen Versorgung muss die freie Wahl des Wohnorts erhalten bleiben. Das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) soll darauf hin evaluiert und nötigenfalls nachgesteuert werden. Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich.“ (S. 81)
Fachkräftemangel
„Der Mangel an qualifizierten Fachkräften in vielen Branchen kann eines der größten Hindernisse für Wirtschaftswachstum, für die Sicherung von Wohlstand, eine hohe Qualität in Gesundheit, Pflege, Betreuung und Bildung sowie für das Gelingen der Transformation in Deutschland sein. Die Bundesregierung wird daher ihre Fachkräftestrategie und die Nationale Weiterbildungsstrategie weiterentwickeln.“ (S. 32f)
Bürgergeld (Grundsicherung)
„Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen. Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein. Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezuges die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung. Wir werden das Schonvermögen erhöhen und dessen Überprüfung entbürokratisieren, digitalisieren und pragmatisch vereinfachen. Um die Erstattung der Kosten der Unterkunft transparenter und rechtssicherer auszugestalten, schaffen wir einen verbesserten gesetzlichen Rahmen für die Anwendung der kommunalen Angemessenheitsgrenzen und stellen sicher, dass diese jährlich überprüft und ggf. angepasst werden. Dies erleichtert den Kommunen, die Kosten der Unterkunft und Heizung als regionalspezifische Pauschalen auszuzahlen.“ (S. 75)
Politische Teilhabe
„Wir werden für mehr Teilhabe und politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen an wichtigen Vorhaben auf Bundesebene sorgen. Die Mittel des Partizipationsfonds wollen wir erhöhen und verstetigen.“ (S. 80)
Wohnungsbau
„Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Dafür werden wir die finanzielle Unterstützung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförderung fortführen und die Mittel erhöhen.“ (S. 88)
Bezahlbares Wohnen und Wohngemeinnützigkeit
„Wir werden ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ mit allen wichtigen Akteuren schließen. Wir werden zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen und so eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen. Sie soll nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit die Struktur der etablierten Wohnungswirtschaft ergänzen, ohne diese zu benachteiligen.“ (S. 88)
Studentisches Wohnen, Bau- und Investitionsoffensive
„Wir legen ein Bund-Länderprogramm für studentisches Wohnen, für junges Wohnen und Wohnen für Auszubildende auf. Wir werden eine Bau- und Investitionsoffensive starten, die die Voraussetzungen schafft schnell und günstig zusätzlichen Wohnraum zu schaffen und zu erhalten, und dadurch sowohl der Bau- und Immobilienwirtschaft langfristige Planungsperspektive als auch den Mieterinnen und Mietern Sicherheit gibt.“ (S. 88)
Barriereabbau
„Wir werden unseren Einsatz für altersgerechtes Wohnen und Barriereabbau verstärken und die Mittel für das KfW Programm auskömmlich aufstocken.“ (S. 89)
Förderung von Sozialunternehmen
„Zu einer modernen Unternehmenskultur gehören auch neue Formen wie Sozialunternehmen, oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen. Wir erarbeiten eine nationale Strategie für Sozialunternehmen, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen. Wir verbessern die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel für Genossenschaften, Sozialunternehmen, Integrationsunternehmen. Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt. Hemmnisse beim Zugang zu Finanzierung und Förderung bauen wir ab. Wir werden die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um Guthaben auf verwaisten Konten zur Förderung des Gemeinwohls nutzen zu können.“ (S. 30)
Ganzheitlicher Wohlstand
„Wir wollen im Jahreswirtschaftsbericht eine Wohlstandsberichterstattung integrieren, die neben ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Dimensionen des Wohlstands erfasst.“ (S. 32)
„Barrierefreiheit“ ist ein prominentes Schlagwort im Koalitionsvertrag. Konkrete Maßnahmen für mehr barrierefreien Wohnraum werden jedoch nicht genannt. Grundlegende Veränderungen könnte die neue Wohngemeinnützigkeit bringen, von der sich viele mehr bezahlbaren Wohnraum erhoffen.
Die Ampel verspricht mit dem Bundesteilhabegesetz, der Abgrenzung von Eingliederungshilfe und Pflege sowie dem Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz einige gesetzliche Rahmenbedingungen unter die Lupe zu nehmen, die in den letzten Jahren in die Kritik geraten sind. An mehreren Stellen (z.B. beim Persönlichen Budget) wird ein Abbau an Bürokratie in Aussicht gestellt, der Hoffnungen schürt.
Die neue Bundesregierung versteht Innovation und Wohlstand deutlich ganzheitlicher als vergangene Regierungen. Die Aussagen des Koalitionsvertrags machen Mut, dass sich die rechtlichen und finanziellen Bedingungen für gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen deutlich verbessern werden.
Im Abgleich mit den Empfehlungen des Deutschen Instituts für Menschenrechte zur Umsetzung der UN-BRK in der kommenden Legislatur bleiben einige zentrale Punkte (z.B. Mehrkostenvorbehalt, Einkommens- und Vermögensgrenzen) leider unberührt oder zumindest unkonkret.